LichTraum by Sonia Siblik


Madge Gill Bukasa

Sonia Siblik ist eine Logopädin und Therapeutin für Personen mit Lernschwierigkeiten.
Sie hat Ausbildungen in Pädagogik und Sonder- und Heilpädagogik absolviert und war als Lehrerin und Therapeutin in Mexiko und Österreich tätig. Seit 2007 ist sie Kuratorin und Organisatorin von Ausstellungen beim Lichtraum eins by Paul Siblik. Seit 2022 leitet sie als Organisatorin, Kuratorin, Konzeptentwicklerin und Künstlerin für künstlerische Gemeinschaftsprojekte den LichTraum by Sonia Siblik. Sie organisiert auch mexikanische Pappmaché-Kurse für das Format 60+.


buntesAT: Für alle, die den LichTraum by Sonia Siblik nicht kennen. Seit wann gibt es euch und was tut ihr?
Sonia Siblik: Das Elektrogeschäft Siblik in der Heinrichgasse existiert seit etwa 88 Jahren und wurde von der Familie meines Mannes gegründet. Vor ihm führte seine Mutter das Unternehmen und davor sein Großvater. Dieses Lokal war früher ein Textilgeschäft. Als es 2007 frei wurde, haben wir es renoviert und als Büro für meinen Mann genutzt. Bei der Eröffnungsfeier fiel mir auf, dass die Wände völlig leer waren. Deshalb fragte ich eine gute Freundin und Künstlerin aus Mexiko, ob sie das Unternehmen mit ihren Bildern verschönern möchte. Das war unsere erste Ausstellung! Jetzt haben wir fast jeden Monat eine Ausstellung hier.

Und ihr seid auch ein Verein?
Im Laufe der Zeit habe ich einen Verein gegründet, weil ich gerne mit Künstler:innen zusammenarbeite und Projekte mache. Ein Verein war der beste und einfachste Weg dafür! Der Verein zielt auf Vernetzung, Sichtbarkeit und Unterstützung für Künstler:innen ab, die entweder nicht in Österreich leben oder neu hier sind und durch solche Projekte bekannt werden können.

Im November gab es eine Ausstellung zum Tag der Toten in Mexiko, die "Der Weg der Seelen" hieß. Was bedeutet dieses Fest für dich als gebürtige Mexikanerin?
Für mich ist es das schönste Fest des Jahres! Es ist besser als Weihnachten, Ostern, Geburtstag und alles zusammen. In dieser Zeit spüre ich meine verstorbenen Verwandten, also meine Wurzeln, ganz nah bei mir. Es ist die Zeit, in der ich über meine Autobiographie nachdenke, mich erinnern kann, woher ich komme und wohin ich gehe. Es ist die Zeit, in der ich mein Leben analysieren kann. Aber das Wichtigste ist, dass ich diesen Glauben teile, wie viele Mexikaner, dass wir an diesem Tag unsere Verstorbenen spüren.
 
Es ist demnach ein stark familienbezogenes Fest?
Ja, Familie und Freunde! Bei diesem Fest machen wir keine Unterschiede. Wenn dein Hund gestorben ist, kannst du ihn auch auf deinem Altar haben. Wenn eine Freundin, die für dich mehr Familie war als andere Menschen, gestorben ist, kannst du sie ebenfalls spüren. Es geht um die Liebe zu bestimmten Menschen oder Lebewesen, um die Anerkennung dessen, was sie in deinem Leben bewirkt haben. Es geht um die Erinnerung, dass 50 Prozent von dir Vater und Mutter sind, 25 Prozent deine Großeltern, 12,5 Prozent deine Urgroßeltern und so weiter. Du bist nicht allein, sondern eine Verbindung von Menschen, die vor dir existiert haben, und du bist das, was du bist, dank dieser Menschen.

Ein schöner Gedanke! In der heutigen Kriegszeit wird oft über die Universalität von Werten gesprochen, also Werte, die überall gültig sind oder sein sollten. Gibt es deiner Meinung nach eine mexikanische Wertetradition, die überall Gültigkeit haben sollte?
Das ist eine schwierige und interessante Frage. In einer Zeit, in der der Respekt, zum Beispiel der Respekt für das Leben anderer Menschen, schwindet. Der Tod ist nicht das Ende. In allen 32 Städten Mexikos gibt es diese Tradition, aber jeder lebt sie anders. Mein Altar war ein traditioneller historischer Altar aus Yucatán.
Ich denke, wir sollten uns gegenseitig helfen, unser Ego loszulassen. Denn nur zusammen sind wir stärker. Nur ge- meinsam können wir Dinge richtig machen. Leider sehe ich oft das Gegenteil, besonders in der Kunst. Der einzelne Künstler ist wie ein einsamer Wolf, der alles alleine schaffen muss, Solo-Ausstellungen und so weiter. Gemeinsam können wir jedoch großartige Dinge schaffen.

Deine Kinder sind auch europäisch sozialisiert. Übernehmen sie diese Traditionen und haben sie im November auch einen Altar?
Ja, ich habe ihnen gesagt, wenn ich sterbe und keinen Altar bekomme, werde ich wiederkommen und sie abends, wenn sie schlafen, an den Füßen ziehen.

Du gibst auch Kurse für mexikanische Pappmaschee-Kunst. Diese großartigen historischen Masken an der Wand stammen aus diesen Kursen (Cover). Was ist der Unterschied zwischen deiner Pappmaché-Kunst und der herkömmlichen Pappmaché hierzulande?
Die herkömmliche Pappmaschee wird mit einem Klebstoff aus alten Zeitungen oder Papier und viel Wasser hergestellt. Wir machen es anders. Wir verwenden Papierstücke, die wir zusammenkleben, und lassen die Formen wachsen.

Wer besucht deine Kurse?
Menschen aus der ganzen Welt nehmen daran teil. Für die historischen Masken zum „Tag der Toten" hatten wir Teilnehmer:innen aus El Salvador, Ecuador, Peru, Kolumbien, Venezuela, Mexiko, Spanien, Ungarn, Österreich und Bulgarien. Sie haben gelernt, was die Toten Tage bedeuten.

Sind das professionelle Künstler:innen oder nicht?
Beides. Jeder Mensch kann das schaffen, wenn er vergisst, was ihm als Kind im Kindergarten gesagt wurde: „Du kannst nicht zeichnen!"

Der Slogan „Integration durch Leistung" hat vor einigen Jahren die Migrationsdebatte in Österreich geprägt. Was bedeutet Integration für dich?
Als ich nach Österreich kam, sprach ich anfangs nur Englisch. Warum sollte ich Deutsch lernen, dachte ich, wenn alle Eng- lisch sprechen. Nach einer Weile haben alle auf Englisch gegrüßt und dann angefangen Deutsch zu sprechen, während ich da saß und nichts verstand. Dann hatte ich das Pech, einige ziemlich rassistische Situationen zu erleben. Zum Beispiel brauchte ich für das Visum ein Leumundszeugnis, aber ich wusste nicht, wie es auf Deutsch heißt, und mein Mann auch nicht. Er hatte sowas nie gebraucht. Ich wusste, dass es auf Englisch "criminal records" heißt. Also ging ich zur Polizei und versuchte dem Polizisten zu erklären, was wir brauchten. Aber er wollte nicht verstehen. Wir waren dort und ich sagte zu ihm: „Excuse me, can I explain in English, please?" Er sprang auf, schlug mit den Händen auf den Schreibtisch und schrie mich an: „Wir sind in Österreich, hier spricht man Deutsch!" Es passierten noch weitere solcher Dinge, und schließlich dachte ich, nie wieder! Danach habe ich überall Deutschkurse besucht, am Wifi, bei Berlitz, private Kurse, an der Sprachschule der Universität Wien, an der österreichischen Orientgesellschaft, Tandem, Goethe-Institut. Ich habe sogar einen Dialektkurs gemacht.
Ich habe an der Universität studiert, habe zwei Bachelor-Abschlüsse und einen Bachelor in Pädagogik gemacht. Ich habe festgestellt, dass Integration nur durch Leistung möglich ist. Du musst etwas leisten und die Sprache lernen, was per se nicht schlecht ist, denn die Sprache ist ein Schlüssel, der Türen öffnet.

Hast du dich in diesen Situationen irgendwie schuldig gefühlt, weil du noch kein Deutsch gelernt hattest?
Ja, auch schuldig, aber vor allem habe ich mich gefühlt, dass mir das nur passiert ist, weil ich die Sprache nicht konnte. Ich musste es ertragen, weil ich das nicht getan hatte. Heutzutage passiert es mir oft, dass Leute über Ausländer lästern und sich dann zu mir drehen und sagen, aber du nicht. Das ist jetzt eher normal.
Ich plädiere nicht dafür, sich selbst zu verleugnen oder auf- zugeben. Man sollte sich selbst und seinen Wurzeln treu bleiben, aber man sollte offen sein und die guten Dinge annehmen können, die eine neue Kultur einem beibringen kann. Nur so kann man Menschen kennenlernen und verstehen, was sie meinen. Wenn man sich verschließt und sagt, nein, ich lerne diese Sprache nicht, weil sie schwer ist, ich esse dieses Essen nicht, weil es nicht gut schmeckt, oder ich höre diese Musik nicht, verschließt man sich selbst Türen.

Ich möchte gerne auf einige deiner Projekte eingehen. Im August fand die erste Vernissage des Projekts "Path Reflections" statt. Es ist ein spannendes Projekt mit nationalen und internationalen Künstler:innen, bei dem die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) im Mittelpunkt der künstlerischen Betrachtung stehen. Kannst du uns etwas über den Hinter- grund dieses Projekts erzählen?
Dieses Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Projekt MIR - Medias In Res von Katerina Teresidi und meinem Verein LichTraum by Sonia Siblik. Bei "Path Reflections" haben wir uns mit den Zielen der globalen Agenda, den SDGs, auseinandergesetzt. Es gibt eine "Global Gap" zwischen Männern und Frauen. Österreich hat in den letzten Jahren seit der Pandemie 21 Punkte verloren und liegt nun auf Platz 46 der Länder, in denen Frauen und Männer mehr oder weniger gleichgestellt sind. Die meisten Menschen wissen das gar nicht.

 
Ich erinnere mich, dass du bei der Eröffnung die Leute, die im Hintergrund getratscht haben, zurechtgewiesen und ihnen zugerufen hast: „Für euch mag es vielleicht keine Rolle spielen, aber für uns, die aus anderen Ländern kommen, sind das sehr reale und wichtige Probleme wie Armut, Hunger, Bildung, Gesundheitsversorgung usw." Weist du die Leute öfter zurecht?
(Lacht) Ja, das ist eine meiner Schwächen.

Oder Stärken!
Das kann man so oder so sehen. Ich denke, wenn du an etwas nicht leiden willst, dann höre bitte zu, wenn jemand dir etwas sagt. Durch meine Integration und die Erfahrungen, die ich gemacht habe, habe ich eine gewisse Härte entwickelt.
Ein Projekt, an dem ich seit über 20 Jahren teilnehme, ist
„Weihnachten in Schuhkartons" von Samaritan's Purse der evangelischen Kirche. Es ist ein Projekt für Kinder, die in Armut leben oder von Armut bedroht sind und zu Weihnachten beschenkt werden. Man nimmt einen Schuhkarton und füllt ihn mit verschiedenen Dingen wie Kleidung, Spielzeug, Schulmaterial und Musikinstrumenten. Diese Kartons werden in arme Regionen von Ländern wie Weißrussland, Bulgarien, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Montenegro geschickt. Ich war auch schon bei der Verteilung dabei und konnte sehen, dass es wirklich sehr arme Kinder sind, wenn man diese Familien besucht.
Kürzlich mussten wir von unserem Kanzler hören, dass in Österreich keine Kinder hungern, weil sie bei McDonald's essen können. Ich finde das verwerflich, denn wenn man ein Gehalt wie er hat, können sich seine Kinder leisten, jeden Tag in Haubenlokalen zu essen. Ich mag das nicht, weil die Leute dann in Wirklichkeit von ihrem eigenen Reichtum sprechen. Ich glaube, in diesem Fall fehlte es ihm an Demut, um das zu erkennen und zu sagen, dass er das nicht hätte sagen sollen.
 

Ein weiteres Projekt von dir ist der 1st Vienna ArtPark. Worum geht es dabei?
Das ist wieder eine Zusammenarbeit mit Katerina Teresidi und ihrem Verein MIR - Medias In Res. Hier stehen zeitgenössische Künstler:innen im Mittelpunkt, die einem breiten Publikum auf niederschwellige Weise bekannt gemacht werden sollen. Das Projekt ist komplett inklusiv, was mir sehr wichtig ist. Es gibt keine Unterschiede in Bezug auf Hautfarbe, religiöse oder sexuelle Ansichten. Jeder ist willkommen. Über unsere Website können sich Maler:innen und Musiker:innen für das Festival anmelden.

Du arbeitest viel mit Katerina zusammen. Was bedeutet für dich Schwesterlichkeit im Kultur- und Kunstbereich?
Es bedeutet mir alles: zu zeigen, dass Frauen zusammenarbeiten können! Uns gegenseitig anzuerkennen, mit all unseren Schwächen und Stärken. Katerina hat ihre Stärken, ich habe meine Stärken, und gemeinsam funktionieren die Dinge. Denn wir ergänzen uns. Wenn Menschen zusammenarbeiten und gemeinsam etwas durchziehen wollen, dann sollten sie dies mit Respekt und mit Kommunikation tun, anstatt mit Konkurrenz. Konkurrenz wird unterschwellig wahrgenommen - du kannst etwas besser, dann muss ich das jetzt besser machen als du. Nein, stattdessen sage ich: Du kannst das besser, bitte zeig es mir oder bring es mir bei, oder wie kann ich dir helfen? Kannst du mir helfen? So entstehen großartige Dinge!
Für das Jahr 2024 haben wir verschiedene Projekte geplant, darunter die Wiederholung von "Path Reflections", die Ausstellung „40 Minus" für junge Künstler unter 40 Jahren, und das Projekt "Digital Uplift", das kostenlose Schulungen für Künstler:innen in verschiedenen Bereichen anbietet.
 



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