Bahá'í in Iran und Österreich

 


Die Bahá'í gehören wie die Kurd:innen oder die Belutsch:innen zu den am stärksten bedrohten Religionsgemeinschaften im Iran. Kannst du uns Einblicke über die Bahá'í in Iran geben?
Isma Forghani: Die Bahá'í sind Anhänger der Religion, die im 19. Jahrhundert von Báb und Bahà'u'llàh in Persien gegründet wurde. Seit der Islamischen Revolution 1979 werden sie von der iranischen Regierung systematisch verfolgt. Bis heute wurden mehr als 200 Bahá'í hingerichtet und Tausende inhaftiert. Ihnen wird der Zugang zu höherer Bildung verwehrt, ihre Lebensgrundlagen werden gestört oder blockiert. Sie werden in den staatlichen Medien und in den Predigten vieler Freitagsprediger verleumdet, ihr bescheidener Besitz wird oft beschlagnahmt oder zerstört. Selbst Bahá'í-Friedhöfe werden geschändet und geschlossen. Mit mindestens 300.000 Bahá'í sind sie bis heute die größte nichtmuslimische religiöse Minderheit in Iran.
Die Bahá'í stellen einen Querschnitt der iranischen Gesellschaft dar. In ihren Reihen finden sich Menschen unterschiedlichster sozialer und religiöser Herkunft sowie alle ethnischen Gruppen, einschließlich Kurd:innen und Belutsch:innen. Sie halten an der Lehre Bahá'u'lláhs fest und setzen sich gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben ein.
 

Nach dem gewaltsamen Tod der kurdischen Iranerin Mahsā Jîna Amīnī in Polizeigewahrsam im September 2022 brachen landesweite Proteste in Iran aus. Diese Proteste, die sich gegen den Tod einer kurdischen Frau richteten, wurden jedoch brutal unterdrückt. Tausende wurden verhaftet und viele verloren ihr Leben. Gleichzeitig hört man, dass sich das Kopftuchverbot gelockert hat. Hat sich die Situation der Frauen in Iran seit den Protesten verbessert oder verschlechtert?
Um direkt auf deine Frage zu antworten, ob es seither Verbesserungen im Iran für Frauen gegeben hat, kann ich nur sagen, dass sich die Verfolgung der Bahá'í im Iran seither sogar
verschlechtert hat. Und vor allem für die Frauen: Drei Viertel der Bahá'í, die in den letzten Monaten inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt wurden - obwohl sie nichts getan haben, nur weil sie Bahá'í sind - sind entweder sehr junge oder sehr alte Frauen, von denen viele an schweren Krankheiten leiden.
Diese Verfolgung ist für die Regierung umso kontraproduktiver, als sie das Bewusstsein für die Situation der Bahá'í schärft, die Solidarität zwischen der Bahá'í-Gemeinde und dem iranischen Volk stärkt und der internationalen Gemeinschaft die Unschuld der Bahá'í angesichts einer unerbittlichen Unterdrückung beweist!
Der Grad der Zivilisation einer Gesellschaft wird von manchen am Stand der Frauenrechte gemessen, andere, wie Dostojewski sagte, am Zustand ihrer Gefangenen. Ich frage mich nun, welches Bild wir von einer Gesellschaft haben, in der die Gefängnisse voller junger Menschen sind, die sich für die Verbesserung der Gesellschaft einsetzen.


Ende Januar 2024 haben über 150 prominente Iraner:innen eine Erklärung unterzeichnet, in der sie die neue Verhaftungswelle gegen Bahá'í anprangern und Iraner:innen auffordern, ihre Stimme zu erheben. Diese Erklärung steht im Zusammenhang mit der Kampagne "Our Story Is One". Was ist der Hintergrund der Kampagne "Our Story Is One"?
Ja, wir sind natürlich sehr bewegt und dankbar, dass sich alle, auch die Iraner:innen, für die grundlegenden Menschenrechte aller ihrer Landsleute - einschließlich der Bahá'í - einsetzen. Diese öffentliche Erklärung macht auf die „neuen Taktiken” der staatlichen Verfolgung der Bahá'í im Iran aufmerksam und fordert die iranische Regierung auf, diese Vernichtung zu beenden. Sie wurde von Menschenrechtsaktivisten, Künstlern und sogar ehemaligen Regierungsbeamten unterzeichnet! Denn was geschieht, ist alarmierend! Um nur zwei Beispiele zu nennen: Im Januar 2024 fand in Ahmadabad zum dritten Mal eine Vertreibung von Bahá'í-Bauern und eine Beschlagnahmung ihres Ackerlandes statt, ohne Vorwarnung durch Regierungsbeamte. Wir scheuen nicht den Begriff, es handelt sich tatsächlich um eine Art „religiöse Säuberung”! Und vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass eine Gruppe junger Bahá'í in Shiraz brutal angegriffen wurde, als sie sich versammelt hatten, um eine Prüfung abzulegen, weil sie nirgendwo anders lernen konnten…
Völlig zu Recht stellst du einen Zusammenhang her mit der weltweiten Kampagne der Bahá'í-International Commuinty #ourstoryisone zum Gedenken an zehn iranische Bahá'í-Frauen, die im Juni 1983 allein wegen ihres Glaubens hingerichtet wurden. Trotz jahrelanger staatlicher Hasspropaganda überwindet das iranische Volk heute die einst trennenden Unterschiede - Glaube, Ethnie, Herkunft - und betrachtet stattdessen jeden Teil seiner Gesellschaft als Teil einer vielfältigen, aber einzigartigen Familie! Jeder öffentliche Ausdruck der Unterstützung für die Rechte eines Teils der iranischen Gesellschaft, einschließlich der Bahá'í, bringt uns einem inklusiveren Iran näher!


Seit 1998 ist Bahá'í in Österreich offiziell als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit anerkannt. Was sind die religiösen Glaubensgrundsätze der Bahá'í?
Alle Menschen sind gleich, die menschliche Seele hat kein Geschlecht, keine Hautfarbe und keine Nationalität. Vorurteile jeglicher Art müssen abgebaut werden.  Gleichberechtigung und Bildung spielen eine wichtige Rolle. Religion und Wissenschaft müssen miteinander versöhnt werden. Religion muss die Ursache für Einheit und Eintracht unter den Menschen sein, wenn sie zu Hass führt, wäre es ein wahrhaft religiöser Akt, sie aufzugeben!


Wie gestalten sich die Aktivitäten der Bahá'í in Österreich? Sind die Bahá'í-Veranstaltungen für alle Menschen in Österreich zugänglich oder nur für Bahá'í-Gläubige? Haben die Bahá'í-Frauen in Österreich für den Frauentag 2024 etwas geplant?

Ja, die Aktivitäten der Bahá'í in Österreich sind vielfältig und für alle offen. Da eines der Hauptthemen unserer Aktivitäten die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verbesserung der Welt ist, glauben wir, dass wir unsere Gesellschaft nur mit Hilfe aller verbessern können, indem wir voneinander lernen und uns gegenseitig bereichern.
Fragen nach unserer wahren Identität, wer wir als Menschen sind, sowie nach sozialem Zusammenhalt und der Überwindung von Geißeln wie Rassismus und Vorurteilen, die für den Frieden so notwendig sind, sind natürlich ebenfalls aktuell. „Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt. Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger“, Bahà’u’llàh (1817-1892)
Speziell zum Frauentag 2024 laden die Bahá'í in Österreich seit dem 8. März 2023 - eigentlich das ganze Jahr über - in Zusammenarbeit mit Frauenorganisationen wie Soroptimist oder Frauen für Frauen zu Aufführungen des Theaterstücks „Der Siegelring, wofür es sich zu kämpfen lohnt“ ein. Dieses Stück handelt von Táhereh, einer auch in Österreich bekannten, aber heute vergessenen Bahá'í-Dichterin des 19. Jahrhunderts, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte. Auf dem Programm stehen auch Gedichtlesungen von Mahvash Sabet, der österreichischen PEN-Preisträgerin, die heute in Iran wieder im Gefängnis sitzt, nur weil sie Bahá'í ist, und die eine Welle der Solidarität von österreichischen Politiker:innen erfährt. Alle Informationen und Einladungen österreichweit finden Sie unter www.Bahai.at.   
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Interview: Madge Gill Bukasa

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