Zwangsausweisung afghanischer Migrant:innen aus der Islamischen Republik Iran:Das Zusammenspiel von Gewalt und Missachtung menschlichen Lebens
Migration ist ein globales Phänomen, das in der Regel in politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Krisen innerhalb einer Klassengesellschaft wurzelt. Die Migration von Afghan:innen in den Iran – sowohl unter dem früheren Monarchie-Regime als auch nach der Machtübernahme der Islamischen Republik 1979 – gilt als eine der längsten, herausforderndsten und zugleich menschlich bedeutendsten Bevölkerungsbewegungen im Nahen Osten.
Von FORUM IRANISCHER FRAUEN
Die Präsenz afghanischer Migrant:innen im Iran ist nicht nur eine soziale Realität, sondern auch ein Teil der wirtschaftlichen und kulturellen Struktur des Landes. Trotz ihrer jahrzehntelangen Anwesenheit haben viele Afghan:innen als billige Arbeitskräfte nie eine legale Aufenthaltserlaubnis erhalten und waren mit erheblichen Einschränkungen in den Bereichen Bildung, Arbeit und Eigentum konfrontiert.
Historischer Hintergrund der afghanischen Migration in den Iran
Zwar gab es auch vor 1979 einzelne afghanische Migrant:innen im Iran, doch mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan nahm die Migration massiv zu. Millionen flohen vor Krieg, Unsicherheit und instabilen Regierungen in die Nachbarländer – darunter auch der Iran. Nach dem sowjetischen Abzug 1989 und dem Aufstieg der Taliban kam es zu einer weiteren Welle von Geflüchteten. Die nächste Migrationswelle folgte nach dem Abzug der USA 2021 und der erneuten Machtübernahme der Taliban. Im selben Jahr öffnete die Islamische Republik Iran ihre Grenzen unkontrolliert und ließ eine große Zahl afghanischer Männer ins Land, denen sogar Aufenthaltsrechte und Wahlrecht eingeräumt wurden – ein klarer Fall politischer Instrumentalisierung zugunsten des Wahlsieges von Ebrahim Raisi am 18. Juni 2021.
In diesem Zusammenhang wurde der Iran mit der Aufnahme von rund drei Millionen Geflüchteten zu einem der wichtigsten Ziele afghanischer Migration. Die Islamische Republik hat jedoch über Jahrzehnte hinweg nicht nur keine unterstützende Politik entwickelt, sondern die Anwesenheit von Millionen Afghan:innen im Land vielmehr zu einem Instrument wirtschaftlicher Ausbeutung, sicherheitspolitischer Repression und regionaler Kriegstreiberei gemacht. In diesem Rahmen stellt die Bildung der Fatemiyoun-Division – einer Miliz aus mittellosen Afghan:innen für Irans Stellvertreterkriege in Syrien – ein besonders deutliches Beispiel für den Missbrauch von Geflüchteten und eine eklatante Verletzung der Menschenrechte dar.
Ungeregelte Einwanderung einerseits und demütigende Massenausweisungen von mehr als sechs Millionen Afghan:innen andererseits - allein zu politischen und wirtschaftlichen Zwecken – sind ein Beispiel für strukturelle Ungerechtigkeit. Heute, während Afghanistan selbst in einer humanitären Krise steckt, sind Massenverhaftungen und -abschiebungen ohne Wahrung grundlegender Rechte ein weiterer Makel auf dem Konto des iranischen Regimes.
Die neue Ausweisungswelle: Politische Entscheidung, gewaltsame Umsetzung
Seit Anfang 2025 kündigte die iranische Regierung an, bis zu vier Millionen Afghan:innen zurückzuführen – obwohl Afghanistan tief in einer humanitären und politischen Krise steckt. Das Innenministerium behauptet, die große Zahl von Migrant:innen belaste die Wirtschaft und bedrohe die „nationale Sicherheit“. Doch die Realität zeigt: Diese massive, zwangsweise Rückführung geschieht nicht aus den behaupteten Gründen, sondern ist Ausdruck systematischer Gewalt, Verletzung der Menschenrechte und Gefährdung der Vertriebenen.
Berichte aus Grenz- und Stadtgebieten dokumentieren, dass die Abschiebungen häufig mit folgenden Praktiken verbunden sind:
- nächtliche Razzien in Wohnungen
- Schläge und Misshandlungen bei Verhaftungen
- Zerstörung von Ausweisdokumenten
- Festnahme von Frauen und Kindern ohne Begleitung
- systematische Drohungen und Demütigungen
- in manchen Fällen sogar tödliche Gewalt an den Grenzen
Statistiken, die das Ausmaß der Krise verdeutlichen
(Quellen: AP, UNHCR, The Times)
Kennzahl |
Zahl |
Abgeschobene Afghan:innen (März–Juli 2025) |
über 1,1 Mio. |
Tägliche Abschiebungen in manchen Wochen |
über 50.000 |
Anteil Kinder & Jugendliche |
über 25 % |
Abgeschobene Familien in nur 3 Tagen |
ca. 15.000 |
Geplantes Gesamtziel der iranischen Regierung |
4 Mio. |
Registrierte Rückkehrer:innen an der Grenze (März–Juni) |
ca. 366.000 |
|
Dokumentierte Fälle von Gewalt
- In einigen Fällen wurden Migrant:innen gewaltsam aus ihren Wohnungen gezerrt.
- Manche Rückkehrer berichteten, dass ihre Ausweise und Pässe von iranischen Beamten zerrissen oder einbehalten wurden.
- Frauen und Kinder wurden allein an die Grenze gebracht und dort in der Hitze ausgesetzt.
- Es gibt Berichte von Toten – durch Aussetzen in Wüsten oder Hineinstoßen in Flüsse.
- Migrant:innen mussten Dokumente unterschreiben, die sie nicht verstehen konnten.
- In Haftlagern mangelte es an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung.
Rechtliche Einordnung und Folgen
Die kollektive Ausweisung ohne individuelle Prüfung verstößt gegen das Prinzip des Non-Refoulement, verankert in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Auch wenn der Iran das Abkommen nicht ratifiziert hat, ist er an dessen Grundprinzipien gebunden.
Des Weiteren stellt die unmenschliche Behandlung gravierende Menschenrechtsverletzungen dar. Besonders betroffen sind afghanische Frauen, die nach teils jahrzehntelangem Aufenthalt im Iran ohne jegliche Absicherung in ein Land zurückgeschickt werden, das unter Taliban-Herrschaft Frauenrechte massiv einschränkt. Für viele bedeutet dies Armut, Obdachlosigkeit, Gewalt und mehrfache Diskriminierung.
Empfohlene Maßnahmen:
- Einrichtung eines internationalen Kontrollmechanismus für den Umgang Irans mit afghanischen Migrant:innen
- klare Stellungnahme der internationalen Gemeinschaft
- verstärkte Dokumentation, Berichterstattung und politischer Druck durch Menschenrechtsorganisationen
- Engagement der iranischen Zivilgesellschaft gegen die Marginalisierung von Afghan:innen
Schlussfolgerung
Das, was derzeit im Iran geschieht, geht weit über freiwillige Rückkehr hinaus: Es handelt sich um eine humanitäre Krise mit gravierenden rechtlichen, sozialen und politischen Dimensionen.
Die brutale Massenabschiebung afghanischer Migrant:innen zeigt ein alarmierendes Bild im Umgang eines Staates mit einer verletzlichen Bevölkerungsgruppe. Das Schicksal dieser Menschen ist nicht nur eine Prüfung für politische Systeme, sondern auch ein Spiegel des kollektiven Gewissens jener Gesellschaft, in der sie leben.