Biologie ist nicht Schicksal – über Tropen, Allegorien und Fehlinterpretationen in Star Trek
Besonders in den letzten Staffeln von Star Trek: Strange New Worlds (abgekürzt SNW) ist dieser Gedanke mehrfach in erzählerischer Form aufgetaucht. SNW ist eine aktuelle Serie innerhalb des Star Trek-Franchise, die als Prequel zur klassischen Serie aus den 1960er-Jahren spielt. Sie erzählt die Abenteuer der Crew des Raumschiffs USS Enterprise, rund ein Jahrzehnt bevor Captain Kirk das Kommando übernimmt.
Lily Osler hat das in ihrem hervorragenden Artikel „In Star Trek: Strange New Worlds, Is Biology Destiny?“ auf Reactor präzise analysiert und auf den Punkt gebracht: Die Serie nutzt in manchen Episoden Tropen, die an Bioessentialismus erinnern, und läuft damit Gefahr, ungewollt problematische Denkmuster zu reproduzieren. Osler macht gleichzeitig deutlich, dass dies nicht aus einer ideologischen Absicht geschieht, sondern eher aus erzählerischen Entscheidungen heraus – Comedy, Horror, Nostalgie –, die jedoch nicht immer konsequent reflektiert werden. Genau hier lohnt sich ein genauerer Blick.
Allegorien statt Biologie
In der klassischen Star Trek-Tradition dienten außerirdische Spezies nie als biologische Faktenbehauptungen, sondern als Allegorien für menschliche Eigenschaften oder gesellschaftliche Themen.
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Vulkanier etwa verkörperten Rationalität und Logik.
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Menschen standen für Emotionalität und Impulsivität.
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Romulaner repräsentierten Machtspiele, politische Intrigen und Misstrauen.
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Die Gorn, reptilienartige Wesen, symbolisierten das Fremde und Bedrohliche.
In der berühmten Originalserien-Folge „Arena“ (1967) etwa muss Captain Kirk gegen einen Gorn kämpfen. Während der Gorn zunächst als brutales Monster inszeniert wird, erkennt Kirk am Ende, dass sein Gegner ein rationales, denkendes Wesen mit eigenen Motiven ist. Kirk verschont ihn – eine klassische humanistische Pointe von Star Trek: Hinter jeder fremden Maske steckt ein denkendes Subjekt.
Spock als Mensch – SNW Episode „Charades“
SNW hat diesen Grundsatz in mehreren Folgen jedoch stark vereinfacht dargestellt. Ein Beispiel ist die Comedy-Episode „Charades“, in der der Halbvulkanier Spock (eine zentrale Figur im Franchise) durch einen medizinischen Zwischenfall plötzlich seine menschlichen Emotionen vollständig erlebt. Die Episode spielt humorvoll mit dem Kontrast zwischen seiner sonst kontrollierten vulkanischen Seite und seinen „freigesetzten“ Gefühlen – allerdings so, als wäre seine DNA allein dafür verantwortlich, wer er ist.
Ähnlich verhält es sich in der Folge „Four-and-a-Half Vulcans“, in der mehrere Crewmitglieder durch ein Missgeschick zu Vulkaniern oder Romulanern werden. Sie beginnen sich augenblicklich stereotyp zu verhalten: hyperlogisch, arrogant oder intrigant. Diese überzeichneten Darstellungen sind offensichtlich nicht als ernsthafte genetische Theorien gedacht – sie sollen für humorvolle Effekte sorgen. Trotzdem transportieren sie unbewusst die Idee, dass Biologie unmittelbar Verhalten bestimmt. Das ist erzählerisch zugespitzt und blendet die komplexe Rolle von Kultur, Erziehung und individuellen Entscheidungen aus, die Star Trek früher oft betont hat.
Die Gorn – vom Fremden zum Monster
Noch deutlicher wird dieses Muster bei den Gorn. In der klassischen Serie wurden sie, wie erwähnt, als feindlich, aber vernunftbegabt dargestellt. In SNW dagegen erscheinen sie in den ersten beiden Staffeln fast ausschließlich als stumme, aggressive Kreaturen, die Menschen angreifen. Junge Gorn schlüpfen wie in einem Horrorfilm aus Wirten (eine Anspielung auf die Xenomorphs aus Alien), und ein „biologischer Aggressionsschalter“ durch Sonnenlicht macht sie zu reflexgesteuerten Bestien.
Solche Darstellungen sind im Horror-Genre üblich – und genau dieses Genre zitiert SNW hier bewusst. Doch im Vergleich zu den humanistischen Geschichten früherer Serien wirken die Gorn dadurch stark vereinfacht. Die moralische Komplexität, die Star Trek früher ausgezeichnet hat, rückt in den Hintergrund.
Osler weist in ihrem Artikel darauf hin, dass SNW hier einen gefährlichen erzählerischen Pfad betritt: Nicht, weil die Serie rassistische Botschaften verbreitet, sondern weil sie klassische Tropen nicht ausreichend bricht und dadurch falsch gelesen werden kann. Wer diese Tropen wörtlich nimmt, könnte glauben, die Serie vertrete tatsächlich die Idee, dass Biologie Verhalten determiniert.
Tropen sind keine Biologie
Gleichzeitig muss man anerkennen, dass Comedy und Horror oft mit Überzeichnung arbeiten. Niemand schaut eine Screwball-Comedy und erwartet wissenschaftliche Genauigkeit. Tropen sind erzählerische Werkzeuge, keine naturwissenschaftlichen Thesen.
Sie sollen uns nicht sagen, wie Vulkanier „wirklich“ sind, sondern bestimmte Facetten menschlicher Erfahrung verdeutlichen – etwa den Gegensatz zwischen Rationalität und Emotionalität oder die Angst vor dem Fremden. Die Gefahr entsteht, wenn Serien diese Tropen nicht irgendwann wieder in komplexere Erzählungen zurückführen.
Lt. Ortegas und die Gorn-Pilotin – „Terrarium“
Genau das beginnt SNW in neueren Folgen zu tun. Ein Wendepunkt ist die Episode „Terrarium“ in Staffel 3. Lt. Erica Ortegas, eine Pilotin der Enterprise, stürzt auf einem Mond ab und trifft dort auf eine Gorn-Pilotin. Was wie ein klassisches „Feind trifft Feind“-Szenario beginnt, entwickelt sich Schritt für Schritt zu einer vorsichtigen Zusammenarbeit.
Ortegas improvisiert einen Übersetzer, beide teilen Wissen, helfen einander bei Verletzungen und überbrücken Misstrauen sogar spielerisch – unter anderem durch eine improvisierte Schachpartie. Am Ende wird klar: Nicht alle Gorn sind Monster. Zum ersten Mal zeigt SNW ein Mitglied dieser Spezies als Individuum mit eigener Intelligenz, Lernfähigkeit und Kultur.
Der ursprüngliche Horror-Tropus wird nicht einfach gestrichen, sondern erweitert. Aus der Bedrohung wird ein Gegenüber, das kooperieren kann. Damit knüpft SNW bewusst an die humanistische Linie der klassischen Serie an. Dass dies direkt nach den eher vereinfachenden Episoden über Vulkanier und Gorn geschieht, wirkt fast wie eine Selbstkorrektur.
Fazit: Biologie ist real – aber kein Schicksal
Diese Entwicklung ist entscheidend. Tropen wie „Biologie ist Schicksal“ sind nicht das Ende der Erzählung, sondern oft ihr Ausgangspunkt. Serien können zwei Wege gehen: Entweder sie bleiben bei der Vereinfachung stehen – oder sie nutzen die Tropen, um später Komplexität zurückzugeben. „Terrarium“ ist ein gelungenes Beispiel für Letzteres.
Für uns als Zuschauer:innen bedeutet das: Wir sollten Tropen mit Abstand betrachten. Serien wie Star Trek sind keine Lehrbücher für Genetik oder Anthropologie, sondern erzählerische Systeme mit eigenen Genrelogiken. Wenn SNW Vulkanier überzeichnet oder Gorn monströs inszeniert, dann meist, um Humor, Spannung oder Nostalgie zu erzeugen. Das Problem entsteht, wenn diese Überzeichnungen unkommentiert bleiben oder zu sehr verabsolutiert werden.
Der Reactor-Artikel bringt diesen Widerspruch gut auf den Punkt: SNW ist keine ideologisch gefährliche Serie, sondern eine, die sich manchmal in Genre-Tropen verliert – aber gleichzeitig die Werkzeuge besitzt, diese Tropen selbst zu reflektieren. Genau das hat Star Trek seit jeher stark gemacht: Es spielt mit Allegorien, um uns etwas über uns selbst zu erzählen. Wer diese Allegorien wörtlich nimmt, verpasst den eigentlichen Punkt.
Fazit: Biologie ist real – aber kein Schicksal. Star Trek war immer dann am stärksten, wenn es hinter die Maske des „Anderen“ blickte und uns zeigte, dass dort ein Individuum steht, das denken, fühlen und handeln kann. Tropen wie „Biologie ist Schicksal“ sind Werkzeuge, keine Wahrheiten. Wenn wir sie so lesen, wie sie gemeint sind – als überzeichnete Allegorien –, verlieren wir weder den Spaß noch die kritische Distanz. Strange New Worlds hat uns sowohl die Stolperfallen dieser Tropen gezeigt als auch ihren erzählerischen Mehrwert, wenn man sie bricht. Und genau darin liegt eine Stärke dieser Serie: Sie ist nicht perfekt, aber lernfähig.
Quellen:
Lily Osler: “In Star Trek: Strange New Worlds, Is Biology Destiny?”, Reactor (9. September 2025).
Star Trek: Strange New Worlds, Folgen „Charades“, „Four-and-a-Half Vulcans“, „Terrarium“.
StarTrek.com, Den of Geek, TrekNews, ScreenRant, Memory Alpha (Episoden-Analysen zu S3E9 „Terrarium“).