Große Legenden stimmen immer
Über die Yangju-Oper „Drei Attentatsversuche des Wuhan“
Diese Kulturinitiative lassen sich die Veranstalter einiges kosten. Mit Wien als Epizentrum führen die Tourneen nach Deutschland, Italien, Kroatien und Ungarn. Geboten wird klassische China-Oper, aufgeführt von den besten Ensembles aus verschiedenen Regionen Chinas.
Dass China-Oper nicht grundsätzlich Pfirsichblüten-Idylle mit
Happy-End sein muss, davon konnte man sich Ende September bei der
Yangju-Oper „Drei Attentatsversuche des Wuhan“ überzeugen. Die
Hauptdarsteller sterben alle drei. Hinzu kommen noch einige Symbol-Tote
beim Schlussgemetzel. Keine leichte Kost also aus dem „Land des
Lächelns“. In ein Horror-Movie oder Psychothriller umgesetzt, würde der
Film keine Jugendfreigabe bekommen. Das ist schon deshalb bemerkenswert,
weil es in China das Genre des Horrorfilms, ähnlich wie in Indien,
nicht gibt.
Diese Oper „Drei Attentatsversuche des Wuhan“ beleuchtet das
Schicksal des berühmten Generals Wu Han aus der Östlichen Han-Dynastie.
Mit allen Mitteln pantomimischer, sprachlicher und lyrischer Kunst
führt ein großartiges Ensemble das Publikum mitten hinein in das
Seelenleben eines Generals, der von seiner Mutter den Auftrag erhält,
seine Frau zu töten. Der Grund: ihr Vater hätte sich großer Verbrechen
gegen den Staat schuldig gemacht. Die Tochter also, die ja nichts
dafürkann, soll getötet werden, bloß, weil sie die Tochter eines
Kriegsverbrechers ist. Wu Han befindet sich also in einem Dilemma. Soll
er seine Frau am Leben lassen und sich damit dem Befehl seiner Mutter
widersetzen oder soll er seine Frau töten, obwohl er sie liebt?
Wie schon im antiken griechischen Drama spielt auch hier das Dilemma
als Thema eine entscheidende Rolle. Unter einem Dilemma versteht man
einen Konflikt mit zwei gleich schlechten Alternativen.
Als Publikum folgt man dem Handlungsverlauf in atemloser Erwartung,
wie es weitergehen wird. Ein paar wenige Musiker und Musikerinnen des
Musik-Ensembles haben die Aufgabe diese Seelenqualen zu illustrieren.
Das gelingt. Wenn Wu Han zittert, weil er immer wieder seine Liebe
versichert, „zittert“ quasi auch die Musik. Die Perkussionisten, im
westlichen Orchester zumeist krass unterbeschäftigt, haben in dieser
tragischen Oper Dauereinsatz im Presto Vivace, etwa Bpm 135. Die
Holzblocktrommel rast virtuos dahin, dazu klingt metallisches
Instrumentarium. Das ist reiner Proto-heavy-metal-thunder aus einer
fernen Epoche. Da gibt es also einiges auf die Ohren.
Und nicht nur das.
Im Finale gibt es Martial Arts vom Feinsten. Choreographiert von den
treibenden Rhythmen der Perkussionisten schwingen die Kämpfer ihre
Waffen nach klaren Choreographien.
Alles ist durchdrungen von einem Ordnungsprinzip, in dem es die
Bösen gibt und die Guten. Das folgt einer simplen Ideologie. Doch wir
dürfen nicht vergessen, dass antike Oper und antikes Theater immer, auch
im Westen, Inhalte, Werte, Werthaltungen optisch vermittelte, weil kaum
jemand lesen und schreiben konnte. Umso bemerkenswerter ist es, wie
trotz dieser klaren Grundkonstellation in dieser chinesischen Oper
seelische Konflikte spürbar gemacht werden.
Wenngleich das westliche Publikum der staatlich subventionierten
Hochkultur bereits seit vielen Jahren durch die Neuerungen des
„Regietheaters“ auch reduzierte Bühnenbilder über sich ergehen lassen
muss, dürfen wir nicht vergessen, dass der Altersschnitt dieses
Publikums sehr hoch ist. Kein Jugendlicher will auf eine leere Bühne
sehen. So prächtig die Kostüme der China-Oper auch sein mögen. Junge
Menschen wird das nicht erreichen. Was heute fehlt ist eine neue Ernste
Popularmusik, bestehend aus den besten Kräften, die sich nicht anbiedern
an einen Globalmarkt, sondern auch visuelle Standards setzen für diesen
Global-Markt. Wien wäre der richtige Ort, zu einem Ausgangspunkt zu
werden für ein neues Sound-Konzept zwischen alter Oper und den
Innovationen von Pop und Rock.
Das wird Musikgeschichte schreiben.
Fotos: Copyright ©️ China Opera Research Society, Han Zhiwei
Fotos: Copyright ©️ China Opera Research Society, Han Zhiwei