Parizad



 buntesAT: In deinen gezeigten Werken in der Ausstellung "Path Reflections" stehen die Natur und die Umweltzerstörung im Zentrum. Auf den Bildern sind auch ein Baby und ein Embryo zu sehen. Was hat es damit auf sich?
Parizad Farzaneh: Nachhaltigkeit ist entscheidend für die Zukunft unserer Kinder, selbst bevor sie geboren sind. Unsere Handlungen und Entscheidungen in Bezug auf Umweltschutz, Ressourcenverbrauch und Klimawandel beeinflussen die Welt. Indem wir jetzt auf nachhaltige Praktiken setzen, tragen wir dazu bei, eine gesündere und lebenswertere Umgebung für kommende Generationen zu schaffen.

Die Kunst wird oft der Politik gegenübergestellt. Politische Kunst genießt im Allgemeinen keinen guten Ruf. In deiner Kunst übersetzt du komplexe politische brutale Realitäten in visuelle Kunst. Deine Fotoserie „Die sieben Todsünden“ zeigt Frauen, die ausgepeitscht wurden, sich verhüllen müssen und grundsätzlich unsichtbar gemacht werden. Was bedeutet es für dich als iranische Frau, politische Kunst zu machen?
Meiner Meinung nach ist Kunst nicht getrennt von sozialen Anliegen und von der Politik zu sehen. Eine Kunst, die nicht ihre Zeit widerspiegelt, ist ein rein sentimentales Medium, das keinen praktischen Nutzen hat, außer der Unterhaltung. Im Laufe der Geschichte war Kunst immer mehr als nur ein Instrument der Schönheit; sie war auch ein Medium der Kritik, ein Ausdruck menschlichen Leids und Schmerzes sowie ein Mittel zur Dokumentation von Ereignissen. Dies können wir auch anhand der Entwicklung der Kunst nach dem Ersten Weltkrieg beobachten.
Als eine iranische Frau, die unter den unmenschlichen Gesetzen eines totalitären Regimes gelebt hat, empfinde ich es als Verrat und Lüge, nur von den Schönheiten des Lebens zu sprechen und die Realität zu ignorieren. Natürlich sind nicht alle meine Werke politisch, ich habe eine sehr vielfältige Sichtweise auf die Kunst.

Du hast in Teheran studiert und bist später als Studentin nach Österreich gekommen. In deiner Kunst behandelst du zentral die Themen Frauenleben, das Patriarchat und die Ungleichheit in totalitären islamischen Regimen. Wie war dein Zugang zu diesen Themen? Gab es Schlüsselmomente, ein Erwachen für dich als Künstlerin, oder war diese Auseinandersetzung immer Teil deiner künstlerischen Persönlichkeit?
Unsere Erlebnisse sind unsere Lebenserfahrung von der Schule, von der Gesellschaft bis hin zu unserer Umgebung. Zwangskleidung, Religionszwang; viele in Europa alltägliche und triviale Dinge sind verboten und jedes Mal, wenn wir uns ihnen widersetzten, könnten wir dafür bestraft werden. Auf der anderen Seite sollte Kunst Freiheit bedeuten, aber Künstler:innen sind in autokratischen Regimen immer einer Selbstzensur unterworfen, weil die Meinungsfreiheit zu einem hohen Preis für ihr Leben werden kann. Viele Schlüsselmomente in meinem Leben haben also zu meinem Schaffensprozess geführt. Sowohl meine persönlichen Erfahrungen als auch das Beobachten der Erfahrungen meiner Mitmenschen spielen dabei eine Rolle.

Du sagst, deine Waffe ist die Kunst, die Malerei. Jemand anders verwendet vielleicht einen Bleistift oder eine andere Form der Kunst, um gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen. Ist das nicht eine Illusion angesichts des brutalen Vorgehens im Iran gegen Kritiker:innen? Ein Beispiel dafür ist der Tod von Jina Mahsa Amini, der viele Menschen auf die Straße trieb, um zu protestieren. Bis heute werden diese Frauen und Männer identifiziert, angeklagt und ins Gefängnis geworfen. Glaubst du wirklich, dass eine Künstlerin mit einem Pinsel etwas ausrichten kann?
Vielleicht ist das Wort „Waffe“ hier nicht zu wörtlich zunehmen. Was ich meine, ist, dass wir gegenüber einem bewaffneten Regime keine andere Wahl haben, als mit der Unterdrückung auf unsere eigene Weise umzugehen. Dies kann der Stift eines Schriftstellers, ein Lied oder jedes andere Kunstwerk sein. Kunst lenkt tatsächlich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf ein Thema oder ein Problem und stellt es in Frage. Jeder einzelne, der sich darüber bewusst wird, ist wie ein Tropfen und aus der Vereinigung dieser Tropfen entsteht eine Bewegung. Diktatorische Regime fürchten nichts so sehr wie Künstler:innen und Schriftsteller: innen, und der Lauf der Geschichte zeigte, dass viele von ihnen ins Gefängnis kamen oder sogar getötet wurden, dabei war ihr einziges „Vergehen“ die Sichbarmachung von Wahrheit. Ein Teil dieser Wirkung beruht auf der Beliebtheit der Künstler: innen, die dazu führt, dass Ideen, Gedanken und kollektive Gefühle noch lange nachwirken. Diese Wirkung kann so stark sein, dass zum Beispiel das Gedicht eines Dichters auch für Hunderte von Jahren im Gedächtnis der Menschen eines Landes weiterlebt und in einem historischen Augenblick die Position des Unterdrückers und dessen Schicksal wieder in Erinnerung ruft. Das Lied "Baraye" (Für), das nach dem Tod von Mahsa Amini viral wurde, hatte sogar einen so großen Einfluss auf die Zuhörer, dass es in verschiedene Sprachen der Welt übersetzt wurde und das Mitgefühl der Menschen weltweit mit den Aktivist: innen der feministischen Bewegung in Iran weckte und den Slogan "Frau, Leben, Freiheit" international machte. Diese Kraft und Einflussnahme, die in einem Lied, einem Gedicht oder in einem Gemälde liegt, ist in nichts anderem vorhanden. Im Laufe der Geschichte sehen wir auch viele andere einflussreiche Werke von Künstler: innen wie Francisco de Goyas „Die Erschießung der Aufständischen“, Pablo Picassos „Guernica“, Werke von Frida Kahlo, Käthe Kollwitz, Dimitry Prigov, Milan Kundera, Ai Weiwei, Eugene Ionesco und viele mehr, deren Wirkung bleibend ist.

Du bist nicht nur Künstlerin, sondern auch Leiterin von „ega: frauen im zentrum“. Was tut ega?
„ega: frauen im zentrum“ ist ein feministischer Verein, der vor 30 Jahren mit Initiative der Wiener SPÖ-Frauen gegründet wurde. Er setzt sich für eine gleichberechtigte und emanzipierte Gesellschaft ein. Im ega finden viele Diskussionsveranstaltungen und Workshops zu feministischen Themen statt. Zusätzlich möchte ega Frauen in der Kunst und Kultur fördern und ihnen eine niederschwellige Möglichkeit für die Präsentation ihrer künstlerischen Werke geben. Wir veranstalten also in unseren Räumlichkeiten selbst viele Ausstellungen mit feministischem Schwerpunkt. Im Dezember gibt es außerdem einen eigenen Designmarkt in Kooperation mit den Wiener SPÖ-Frauen mit ca. 50 Designerinnen.
Und natürlich veranstalten wir zum internationalen Frauentag ein großes Frauentagsfest, bei dem wir zusammen mit unseren Freund:innen und Unterstützer:innen feiern und uns untereinander vernetzen.

Das Frauentagsfest 2024 am 2. März von ega das trägt den Titel "Weil das Leben mehr kann”. Warum wurde dieser pessimistische Titel gewählt?
Ich finde diesen Titel überhaupt nicht pessimistisch. Er soll ausdrücken, dass Frauen die ganze Welt offen steht und sie alles erreichen können! Wir müssen es eben gemeinsam erkämpfen.

ega bietet auch Weiterbildungsangebote an. Anfang Februar 2024 besuchte Renate Brauner euren Frauenstudienzirkel und hielt einen Vortrag über „Frauenleben und Erkenntnisse aus ihrer politischen Arbeit“. Ende Februar gab es eine Veranstaltung zum Thema „Frauen im Bundesheer“. Glaubst du, dass Frauen eine andere Politik betreiben als Männer oder bedeutet Frauenpolitik hauptsächlich, Rechte und Zugänge für Frauen zu erkämpfen, während die Spielregeln gleich bleiben? Verändern die Playerinnen das Game?
Mein Zugang zur Politik war immer künstlerisch, diese Frage kann also Renate Brauner wohl besser beantworten, aber ich denke, dass sich Frauen ihre politischen Rechte über die Wegbereiterinnen immer selbst erkämpfen mussten. Diese Frauen kämpften gegen verschiedene Formen der Diskriminierung und Unterdrückung, darunter das Fehlen politischer und sozialer Rechte, geschlechtsspezifische Gewalt, soziale Ungleichheit und stereotype Geschlechterrollen. Durch ihren Einsatz haben sie dazu beigetragen, bedeutende Fortschritte in Richtung Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit für Frauen auf der ganzen Welt zu erzielen. Die Frauenbewegung ist eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen weltweit. Wenn die Pionierinnen sich damals nicht für eine Veränderung der Gesetze stark gemacht hätten, müssten wir in Österreich ja weiterhin die Ehemänner um Erlaubnis fragen, arbeiten zu dürfen. Selbst das Wahlrecht existiert ja erst seit 100 Jahren und wurde hart erkämpft.
Frauen haben aufgrund ihrer Sozialisation oft eine andere Sicht auf die Welt, eine gute Frauenpolitik bedeutet nicht nur, Rechte und Zugänge für Frauen in einem männlich dominierten System zu erkämpfen, sondern das System allgemein für alle Geschlechter gerechter zu gestalten. Die Playerinnen verändern also das Game!                                                                      

Interview: Madge Gill Bukasa

 

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